Warum existiert die Gläserne Kammer? – Background Special – Part 7
Ah, Hüter, es ist so lange her. Scheinbar hast du dich viel herumgetrieben. Jetzt guck nicht so, deine Rüstung hat auch schon bessere Tage gesehen, deine Waffe sollte auch mal gereinigt werden – und was ist das für ein furchtbarer Helm? Runter damit, wenn ich mit dir spreche. Setz dich dort hin und höre mir zu. Heute besprechen wir etwas, das schon etwas weiter in der Zeit zurück reicht, aber selbst für dich und deinen Oryx doch noch von Relevanz sein sollte. Lasse mich dir dazu eine Frage stellen. Einmal abgesehen davon, dass du immer schön schicke Ausrüstung dort hinausgezogen hast, ist dir jemals in den Sinn gekommen, weshalb die Gläserne Kammer überhaupt existiert? Und warum ist sie überhaupt gläsern? Wahrscheinlich dachten sich die Vex, dass die Kammer aus grauem Stein und ein bisschen Metall für euch junge Hüter nicht cool genug geklungen hätte? Ich habe dir bereits aufgetragen, nicht nur vor dich hinzusammeln, sondern auch die Gründe zu hinterfragen, junger Hüter. Also, fangen wir an, warum existiert die Gläserne Kammer?
Um das zu verstehen, sollten wir ein wenig in der Zeit zurückreisen. Weißt du noch, wann du das erste Mal auf Hinweise gestoßen bist, in denen die Kammer erwähnt wurde? Ganz genau, als du in das Ischtar-Kollektiv eingedrungen bist. Die Daten, die du aus dem alten Netzwerk gezogen hast, sprachen von einer Vex-Unterwelt, namentlich bekannt als die Gläserne Kammer. Hier sollte dir natürlich schon auffallen, wie lange sich die Menschheit schon mit der Existenz dieser Kammer beschäftigt. Wir wissen, die Strukturen, welche die Vex auf der Venus zu welchem Zweck auch immer, errichteten, sind mehrere Milliarden Jahre alt. Das sagt uns leider nicht sehr viel über das Alter der Vex aus, schließlich spielen diese Burschen ja durchaus gern mal an der Uhr herum. Dennoch, die Menschheit wiederrum beschäftigt sich mit den Geheimnissen der Vex auf der Venus schon seit dem goldenen Zeitalter. Und an diesem Punkt muss man leider gestehen, wir wissen kaum etwas über diese sehr komplexen Maschinen. Osiris wäre hier ein besserer Lehrer für dich, aber der alte Kauz ist ja noch ein viel größeres Geheimnis, dazu ein anderes mal mehr, Hüter. Was ich dir sagen möchte, ist, selbst die Menschen aus dem goldenen Zeitalter, mit all ihren schicken Geräten und Technologien, waren kaum in der Lage, das Wesen dieser Maschinen zu entschlüsseln. Ähnlich hoch müssen wir auch die Ansprüche an die Frage stellen, was der Sinn und Zweck dieser geheimnisvollen Kammer ist. Sag jetzt nicht, der Loot, Hüter – und die Vex Mythoclast will ich erst recht nicht hören.
Die erste Frage, die wir uns stellen müssen, ist natürlich: wurde die Kammer von den Vex erbaut, haben sie sie nur gefunden oder – viel geheimnisvoller – wurde sie ihnen geschenkt? Wir wissen, die Vex sind stets bemüht, eine Welt, die sie betreten, ihren Bedürfnissen anzupassen. Sie bauen Strukturen, die wir nicht erklären können und für den vorbeifliegenden Hüter auf seinem Sparrow keinen weiteren Zweck zu dienen scheinen. Der Nexus, den du im Inneren der Venus zerstört hast, ist eine radikale Ausprägung dieser Vorgehensweise. In was sie die Planeten umformen wollen, ist unbekannt. Sie machen sie maschineller, könnte man behaupten, durchziehen sie mit Blöcken, Rohren und Maschinenteilen, stellen Konfluxe auf und vieles mehr. Doch warum tun sie das? Der ultimative Zweck bleibt uns zwar noch verborgen, aber immerhin lässt sich sagen, dass die Vex sicherlich nichts grundlos bauen würden. Jeder ihrer Schritte dient einem höheren Ziel. Mittlerweile gehen wir sogar davon aus, das die Vex auf so gut wie jedem Himmelskörper irgendwo eine Struktur errichtet haben, die diesem Ziel dienen könnte. Aber jetzt kommen wir zum Knackpunkt dieser Überlegung.
Wir wissen nicht, weshalb sie die Planeten umbauen, sie sind dennoch in der Lage, jede Umgebung ihren Ansprüchen anzupassen. Genau aber eben darin sind sie beschränkt in den Gegebenheiten des Kosmos. Was das heißt? Die Vex können materielle Dinge verändern, sie können ein Haus bauen, einen Brand entzünden oder einen Planeten in ein hohles Maschinengebilde verwandeln, doch was sie nicht können, ist die eine Sache ihnen anzupassen, die für sie am wichtigsten zu sein scheint – und das ist die Realität selbst. Eine Existenz, die immer darum bemüht ist, alles und jeden an sich anzupassen, ist nicht in der Lage, Hand an das Hier und Jetzt, das Sein, die gesamte Ontologie zu legen. Die Ontologie befasst sich mit den Grundstrukturen dessen, was wirklich und möglich ist. Herrjeh, Hüter, ein bisschen weniger Oryx jagen und dafür mehr in den Archiven blättern würde euch jungen Leuten bestimmt ganz gut bekommen. Aber machen wir weiter.
Was macht eine sich entwickelte, maschinelle Existenz, wenn sie begreift, dass es etwas gibt, dass sie nicht unterwerfen und ändern kann? Richtig, sie errichtet etwas, dass dies vermag. Und hier kommt die Gläserne Kammer ins Spiel. Das hast du bereits erwartet? Nein, Hüter, glaube mir, du hast noch gar nichts erwartet. Denn der Sinn hinter der Kammer ist schon ein wenig komplexer, als erwartet. Du weißt es ja selbst noch, sobald du die Kammer betrittst oder zumindest die Räumlichkeiten davor, sollte jedem Hüter klar sein, dass er für den Moment seines Aufenthalts jegliche zeitliche Existenz seiner selbst ablegt. Das bedeutet, du existerst zwar noch im Innern der Kammer, aber nicht mehr in Raum und Zeit. Verwirrend, ich weiß, aber lass mich erklären. Die Kammer ist von Raum und Zeit abgeschlossen. Mit dem Eintreten ins Innere, begibst du dich an einen Ort, der praktisch überall, zu jeder Zeit sein könnte und dennoch außerhalb dessen, was wir als Realität bezeichnen würden. Es ist einfach nicht definiert, was die Kammer ist oder wo sie sich befindet. Warte kurz, ich hab hier doch noch irgendwo diese Zeichnung. Ah dort drüben.
Siehst du jetzt ein wenig klarer? Wenn nicht, ist das auch gar nicht so schlimm. Denn wir wollen heute nicht unbedingt das Sein der Kammer erforschen, sondern vielmehr den Grund ihrer Existenz lüften. Bis hier hin solltest du zumindest verinnerlicht haben, dass die Gläserne Kammer neben der Realität im selben Kosmos existiert, allerdings verbunden durch mindestens einen Übergang. Wir kennen den auf der Venus.
Als du nun die Kammer betreten hattest, kamst du rasch an eine Stelle, an derer du auf einen ganz speziellen Gegner getroffen bist. Einem Axis-Geist, der unter euch Hütern als Templer bekannt ist. Im eigentlichen Sinne ist der Templer nichts besonderes. Was ihr da in der Kammer vor euch hattet, war nichts weiter, als eine normale Maschine, eine Hydra, die allerdings eine gefährliche Fähigkeit besitzt. Zum einen besitzt der Templer die Macht, die Engerien und Kräfte der Kammer durch sich hindurchfließen zu lassen, was ihm einen Schild verleiht, der durch keine von uns erbaute Waffe durchbrochen werden kann. Außer durch jene, die der Titan Kabr mit Einbüßung seiner Selbst erschuff, dem Relikt. Desweiteren wird er von Wesen umringt, die als Orakel bezeichnet werden. Soweit wir wissen, sind diese glimmenden Kreaturen dazu in der Lage, sich eine ganz eigene Wirklichkeit vorzustellen. Mit anderen Worten, sie formen eine Realität in der Kammer selbst. Du musst wissen Hüter, mit betreten der Kammer, erlangt die Kammer Macht über euch. Es ist wie eine Schnittstelle, eine Verbindung. Alles, was in die Kammer tritt, kann von der Kammer bestimmt werden, jedoch kann die Kammer im Gegenzug nichts verändern, was sich außerhalb ihres Reiches befindet. Was das bedeutet, dazu komme ich später, aber behalte es auf jeden Fall im Kopf.
Während sich die Orakel nun eine Realität vorstellen, die ihren Wünschen enspricht, ist der Templer seinerseits in der Lage, durch die Energien der Kammer, diese erdachte Realität Wirklichkeit werden zu lassen. Was wiederum bedeutet, der Templer tötet euch nicht, er erschafft eine Wirklichkeit, in der ihr nie existiert habt. Verrückt, oder? Aber äußerst effektiv. Ein Feind, den es nie gab, muss man nicht bekämpfen. Und da ihr euch in der Kammer befindet, hört ihr natürlich auch außerhalb dieser auf zu existieren. Ich weiß, Hüter, das ist alles schon ziemlich speziell und kann auch etwas verwirrend sein, aber merke dir auch diese Eigenart, sie wird im weiteren Verlauf ein Schlüsselpunkt sein.
Habt ihr den Templer besiegt, öffnet sich ein Weg tiefer ins Innere der Kammer und ihr betretet das Labyrinth, du erinnerst dich bestimmt. Dort findet ihr die Gorgonen. Aber anders als der Templer, brauchen diese keine Orakel, um euch aus der Wirklichkeit entfernen zu können. Ein einzige Blick reicht aus und man ist für immer aus der Zeit gestrichen. Es ist, als wäre der Templer nicht nur ein Wächter für die Tiefen der Kammer, sondern auch eine Art Prototyp für die Erschaffung von Wirklichkeiten, während die Gorgonen so etwas wie eine Version 2.0 darstellen. Sie brauchen niemanden, der sich eine Wirklichkeit für sie vorstellt, sondern sie tun es einfach selbst und dies viel schneller. Sie sind sauber ausgearbeitete, ontologische Waffen. Aber auch das ist nicht so wichtig, sondern hier nur wieder, dass eine Art ortsgebundene Fähigkeit, Realitäten zu erschaffen, vorgenommen wird. Was bedeutet, dass wir langsam zur Lüftung des Geheimnisses kommen, zu welchem Zweck die Gläserne Kammer existiert.
Am Ende der Reise durch die Kammer bist du schließlich auf ein Wesen, das unter dem Namen Atheon bekannt ist, getroffen. Eine gewaltige Maschine, mit ebenso gewaltigen Fähigkeiten. Atheon ist wohl das größte Geheimnis der Gläsernen Kammer. Denn vorab sollte die Frage gestellt sein, erschuf Atheon die Kammer oder die Kammer Atheon? Fest steht jedenfalls, dass er mehr zu sein scheint, als ein Wächter der Zeit. Es ist bekannt, dass alle Zeitströme der Kammer in Atheon zusammen fließen. So ließe sich behaupten, er nehme die Postion als Kernstück der gesamten Maschinerie ein. Die Zeit soll zwar im Innern der Kammer zerfasert sein, dennoch spricht Kabr von einer spitzen Nadel, die Atheons Willen darstellt und die durch die Wirren des Bildnisses stößt. Dementsprechend ist zu behaupten, es ist vielleicht nicht klar, was zuerst existierte, Atheon oder die Kammer, fest steht sicherlich aber, dass Atheon die Kammer kontrolliert und seinem Willen unterwift. Doch gleich, ob er sie steuert oder nicht, was ist der Sinn und Zweck der Kammer? Ich werde es dir verraten, Hüter.
Die Vex sind permanent auf der Suche nach der Realität, die am besten zu ihnen passt. Welche das ist, wissen wir nicht, ob wir darin eine Rolle spielen, erst recht nicht. Wir wissen, die Vex sind nicht in der Lage, die Wirklichkeit selbst anzutasten. Die Wirklichkeit, der Kosmos wie wir ihn kennen, mit all seinen Hütern, Reisenden, Menschen und Oryxen, ist eine sich selbst berechnende Existenz, dessen Formel wir nicht in Ansätzen verstehen. Die Vex wiederrum versuchen, sich in diese Formel hineinzuzwängen. Vielleicht als eine Art Variable, die sie selbst und damit auch die Realität, nach belieben verändern können. Da ihnen das nicht gelingt, erschaffen sie einen Ort, der dies ein Stück weit möglich macht. Was demnach bedeutet, wenn sie die Realität selbst nicht direkt ändern können, benutzen sie ein Mittel, das aufzeigen, was zu tun ist, damit sich die Realität von selbst ändert.
Ich weiß, Hüter, das klingt alles kompliziert wie theoretisch und mehr als eine Theorie wird es wohl auch nicht bleiben. Dennoch, vielleicht hilft es, wenn du dir die Gläserne Kammer nicht als einen Ort vorstellst, in dem Realität manipulierende Wesen hausen, sondern als eine Art Testraum. Die Vex haben mit der Kammer einen Raum außerhalb der Wirklichkeit erschaffen, der eigene Wirklichkeiten simulieren kann. Die Vex testen dort drinnen, was passiert, wenn sie diese oder jene Wirklichkeit ablaufen lassen. Die Kammer könnte somit nichts weiter sein, als ein überdimensionaler Taschenrechner, der nichts weiter tut, als die Realität zu errechnen, die am besten zu den Vex passen würde. Allerdings kann die Kammer zwar mit den Informationen arbeiten, die von außen in sie eingegeben werden, wie Welten oder Lebewesen. Was sie wiederrum nicht vermag, ist es, auf etwas einzuwirken, das sich außerhalb befindet. Lass mich dir Zeichnung von eben kurz ein wenig bearbeiten.
Wir wissen also nun, dass die Kammer Wirklichkeiten simulieren kann. Das ist weiterhin nicht gefährlich, wenn man sich nicht gerade in der Kammer selbst aufhält. Kabr und sein Team können ein Liedchen davon singen. Wozu aber nun dieser ganze Aufwand? In der Kammer trafst du auf die Nach- und Vorfahren der Vex, richtig? Das würde zum einen bedeuten, dass die Vex schon eine ganze Weile vor unserer Zeit existierten, zum anderen, dass sie in einer Zeit nach uns existieren werden, oder zumindest in nicht absehbarer Zukunft. Wenn Zeitreisen in der Kammer möglich sind und Atheon der Herr darüber ist, könnte es sein, dass die Vex eine Reihe tausender, möglicher Realitäten im Innern berechnet haben und nun versuchen, eine passende Realität in der momentanen Wirklichkeit, Wirklichkeit werden zu lassen.
Und hier kommt der Teil, an dem es spannend wird. Wenn die Vex in der Lage sind, Zeit und Raum zwar nicht zu beherrschen, aber einen Weg gefunden haben, es zu manipulieren, könnte dies bedeuten, dass alles, was passiert ist, passiert und passieren wird, von den Vex bereits vorherbestimmt wurde. Dein Betreten der Kammer, die Vernichtung Atheons, Crotas und seines Vaters Oryx. Das goldene Zeitalter, die Dunkelheit und der Reisende. Der Sinn des Lebens, errechnet von einer Maschine, die irgendwann dazu in der Lage war, die Realität selbst zu beeinflussen. Als ihr Atheon vernichtet hattet, könnte es natürlich ebenso gewesen sein, dass ihr der Funktionsweise der Kammer ein Ende bereitet hattet, immerhin war Atheon ein wichtiger Punkt im Ablauf der Kausalität gewesen, die von den Vex errechnet wurde. Aber wenn die Vex tatsächlich durch die Zeit reisen können, warum haben sie dein Eintreten nicht vorher verhindert? War es von ihnen erdacht, dass du Atheon vernichtest? Oder war seine Vernichtung ein Zeichen dafür, dass die Vex doch fehlbar sind? Falsche Berechnungen anstellen? Höchst unwahrscheinlich.
Bleibt nur noch eine Frage offen. Wenn die Gläserne Kammer, ein Ort aus Stahl und Glas, einem Material, das die Wirklichkeit selbst oder verzerrt wiedergeben kann, eine Art Maschine zur Simulation der perfekten Wirklichkeit für eine bestimmte Existenz darstellt, und die Vex bereits die nötige Realität berechnet haben, die zu ihnen passt, was wird in der Zukunft mit uns geschehen? Wir bekämpfen die Vex so, wie sie uns bekämpfen. Wenn sie die Realität selbst beeinflussen können, warum sind wir dann noch hier? Sind wir noch ein Teil ihres Plans? Und wenn ja, werden wir irgendwann daraus verschwinden?
Das wird die Zeit zeigen, Hüter. Für heute lassen wir es gut sein. Die Vex sind und bleiben ein Mysterium. Ich kann dir nicht sagen, ob du mit der Vernichtung Atheons dem Treiben der Vex ein Ende bereitet oder nur einen weiteren Schritt zur Erfüllung ihres Plans getätigt hast. Jedenfalls solltest du wachsam bleiben. In dieser Dimension der Wirklichkeit wirken Kräfte, die wir noch nicht ganz begreifen können. Doch ich hoffe, die Wahrheit wird sich uns irgendwann eröffnen. Bis dahin, geh da raus und tue, was du für richtig hälst. Und komme bald zurück, Hüter. Es gibt noch so viele Fragen – und ich werde die Antworten liefern, so gut ich kann.
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RSK
Toll geschrieben! Gerne mehr davon!